Eugène PHILIPPS Auteur
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Das ELSASS
ist ein von der Natur begnadetes,
prosperierendes und vielseitiges Land.
Aber seine Persönlichkeit ist tief
geprägt
von seiner Geographie, seiner Geschichte
und seiner sprachlichen
und kulturellen Besonderheit. |
BEMERKUNGEN
I. zur Geographie |
1. Das Elsass ist zunächst das Land zwischen Rhein und Vogesen.
° Rhein und Vogesen bilden schon lange die östliche
und westliche Grenzen des Elsass.
° Anders ist es im Norden und Süden:
- bis 1871 gehörte auch das französischsprachige Belfort
zum Elsass (zum Departement Haut-Rhin/Oberselsass)
- bis 1815 gehörte auch das deutschsprachige Landau
zum Elsass (zum Departement Bas-Rhin/Unterselsass):
* Scheibenhard & Scheibenhardt: |
Durch den Wiener Kongress wurde der untere Lauf der Lauter
zur neuen Grenze zwischen Frankreich und Deutschland. Da der Fluss
mitten durch die Ortschaft Scheibenhardt floss, wurde aus den Bewohnern
der rechten Seite des Flusses ... Franzosen und den Bewohnern
der linken Seite... Deutsche. |
* Diese an sich geringfügige Zurücknahme der Grenze im Süden
und Norden
hat jedoch an der eigentlichen Gestalt des Elsass nur wenig geändert.
* Entscheidend für den besonderen Charakter des Elsass war
nicht der
geographische Rahmen, sondern die geographische Lage.
|
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2. Das Elsass lag immer an der Nahtstelle zwischen
zwei großen Welten:
der deutschen und der französischen. Diese Lage bestimmt
seine Vergangenheit, seine Gegenwart und auch seine Zukunft.
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3. Durch die Große Revolution wurde Frankreich in
Departements aufgeteilt,
mit dem Ziel die französischen Provinzen aufzulösen und
die viel kleineren
Departements besser unter die Kontrolle eines starken Zentralstaates
zu bringen.
* So wurde z.B. aus Lothringern "Mosellans" und aus
Elsässern "Bas-Rhinois" und "Haut-Rhinois"
.
* Überall war allerdings eine sprachliche Umbenennung nicht
möglich
und sowieso die Bretonen, Basken z.B. dachten nicht daran,
etwas anderes ... als Bretonen und Basken zu bleiben.
° Auch im Dialekt gibt es im Elsass
nur Unterelsässer und Oberelsässer und keine
Unterrhiner oder Oberrhiner.
° In der französischen Sprache hingegen,
gibt es nur Bas-Rhinois und Haut-Rhinois, aber keine "Bas-Alsaciens"
und "Haut-Alsaciens".
* Es kommt vor, dass selbst diejenigen, die von "Alsaciens"reden,
diesen Begriff
nur auf den geographischen Rahmen - l'Alsace - bezogen wissen wollen.
* Jedermann steht selbstverständlich das Recht zu, sich als
"Alsacien"
zu betrachten, auch wenn er damit nur sagen will,
dass er im Elsass zu Hause und gefühlsmäßig mit
dem Land
zwischen Rhein und Vogesen verbunden ist.
* Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass "Alsacien"
oder "Elsässer", "Alsace" oder "Elsass"
nicht nur geographische Begriffe sind.
* Das Elsass bezieht nämlich seine Eigenart
nicht von seiner Geographie, sondern von seiner Geschichte.
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II. zur Geschichte |
1. "Elsass", das ist ein verhältnismäßig
alter geschichtlicher Begriff,
älter jedenfalls als die Begriffe "Deutschland" oder "France".
* Der Name "Elsass" kommt in Urkunden vor, die
aus dem 7. Jahrhundert stammen
° die 1. Form war lateinisch: Alesacius
° später kamen die germanischen Formen auf: Alisagowe, Elisaza,
Elsaza, Elsass.
* Im 7. Jahrhundert gab es ein Herzogtum Elsass (Eticho, der
Vater der Hlg. Odilia [Ottilie])
* Später entstand ein Herzogtum Elsass und Schwaben,
das unter den Hohenstaufen im 12. & 13. Jahrhundert eine bedeutende
Rolle spielte.
Das Ende dieser Dynastie bedeutete auch das Ende des Elsass als
politisches Gebilde.
* Erst mit der "Province d'Alsace", die Ludwig XIV.
ins Leben rief,
erhielt das Elsass wieder wenigstens den Anschein einer politischen
Einheit.
* 1911 erlangte das damalige Reichsland "Elsass-Lothringen"
eine Teilautonomie.
Zu wenig und zu spät, um einem autonomen elsässischen Bewußtsein
Gewicht zu verleihen.
.
Das Elsass
Departements Unterelsass und Oberelsass
|
2. Seine geschichtliche Identität verdankt das Elsass
jedoch nicht einer weit zurückliegenden Vergangenheit,
als das Elsass für kurze Perioden eine politische Einheit bildete,
sondern einer wechselvollen Geschichte,
die sich weder mit der deutschen noch mit der französischen
voll und ganz deckt.
* Sowohl auf die deutsche als auch auf die französische Geschichte
bezogen,
sind die Elsässer und somit das Elsass ein "Einzelfall"
- un cas unique -
wie das der vor einigen Jahren verstorbenen Prof. Emile Baas formulierte.
(Situation de l'Alsace, S. 35 ff)
* Das Elsass, heute eine französische Region, ist aus der
deutschen Kulturwelt hervorgegangen
und war bis zum 17. Jahrhundert Teil des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation.
*Auch die Schweiz und Luxemburg z. B. sind aus dieser Welt hervorgegangen.
Sie sind aber heute unabhängige Staaten.
Nicht so das Elsass!
*Auch andere französische Regionen
wie die Bretagne, das Baskenland, Nord-Katalonien u.s.w. wurden,
im Laufe der Jahrhunderte in das Königreich Frankreich eingegliedert.
Sie haben aber seitdem den französischen Staat nicht mehr verlassen.
Nicht so das Elsass!
*Die Elsässer wurden zweimal aus dem französischen
Staat
herausgelöst und in den deutschen Staat eingegliedert: 1870:
de jure und 1940: de facto.
Das hatte Konsequenzen.
*Auch die Pfalz, ja sogar Hamburg, Bremen, Koblenz waren mal
französisch.
Napoleons Bruder, Jérôme, war sogar König von
Westfalen...
aber die Pfalz, Hamburg, Bremen, Koblenz und Westfalen
sind natürlich längst schon wieder deutsch.
Nicht so das Elsass!
* Zwar wurde das Elsass, wie schon erwähnt, zweimal wieder
deutsch,
letzten Endes blieb das Elsass aber französisch.
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3. Dieser kurze geschichtliche Überblick zeigt,
* dass das Elsass (mit dem deutschsprachigen Teil Lothringens)
das einzige ehemalige deutsche Land oder Gebiet ist,
das endgültig von der deutschen Welt abgetrennt wurde,
° nicht nur politisch, wie etwa die Schweiz, Luxemburg
° sondern auch kulturell.
Und das war und ist der entscheidende Unterschied.
* Nicht nur die Geschichte des Elsass unterscheidet sich
von der Geschichte Deutschlands und Frankreichs,
sondern auch das Verhältnis der Elsässer zu ihrer Geschichte.
° In der Tat, die ihnen eigene Geschichte hat das
Geschichtsverständnis der Elsässer entscheidend geprägt,
auch wenn sie das Schicksal der Deutschen oder der Franzosen
in dramatischen Zeitperioden teilten.
Deshalb können sich auch die Elsässer nur mit der ihnen
eigenen Geschichte voll und ganz identifizieren.
° Nur wenn man der elsässischen Geschichte in ihrer Gesamtheit
gerecht wird, kann man die heutige elsässische Problematik
verstehen.
Das tritt besonders klar zutage, wenn man sich mit
der sprachlichen und kulturellen Eigenart des heutigen Elsass befasst.
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III. zur sprachlichen und kulturellen Situation |
* Obwohl Kultur und Sprache nie ganz voneinander zu
trennen sind,
ist die Sprache doch der unentbehrliche Schlüssel
zur Kultur.
- Auch heute noch ist das Sprachenproblem im Elsass vor allem
ein kulturelles Problem.
- Deshalb werden wir uns zunächst mit dem elsässischen Kulturproblem
befassen,
also mit der kulturellen Identität des Elsass und der Elsässer,
* Warum "culture alsacienne", also "elsässische
Kultur"?
° In Frankreich spricht man von
- culture "nationale" = Nationalkultur
- culture "française"....
- cultures "régionales" = Regionalkulturen: culture bretonne,
basque, occitane etc.
° notgedrungenerweise musste man im Elsass auch von
"culture alsacienne", von "elsässischer Kultur"
sprechen.
- also nicht aus Überheblichkeit, ... kein Frosch, der sich
aufblasen will
- sondern um an der Debatte über nationale und regionale Kulturen
teilzunehmen zu können,
- und schließlich auch, weil es immer klarer wurde,
dass die Persönlichkeit des Elsass, so wie sie durch die
Geschichte geformt wurde,
nur Bestand haben kann, wenn es gelingt,
den spezifisch elsässischen Charakter der Kultur im Elsass
zu wahren und der modernen Welt anzupassen.
* Tatsache ist, dass der heutige Elsässer sich an
drei Kulturquellen nährt, ja nähren muss:
an der französischen, an der deutschen und an der
spezifisch elsässischen.
* Die französische Quelle
* Schon bevor das Elsass im 17. Jahrhundert französisch
wurde,
hatte ein nicht geringer Teil der elsässischen Bourgeoisie
Zugang zur französischsprachigen Kultur gehabt:
- nicht nur weil das Elsass an Frankreich grenzte,
- sondern auch weil damals die französischsprachige Kultur tonangebend
in Europa war.
* Aber bis ins 19. Jahrhundert hinein blieb die Masse
der Elsässer
davon ausgeschlossen: es fehlten die sprachlichen Voraussetzungen.
Die Elsässer lebten weiter in und mit ihrem deutschen
Dialekt
und diejenigen, die schreiben konnte, schrieben deutsch, wie in
allen deutschsprachigen Gebieten.
* Heutzutage stellt sich das Problem anders, insbesondere
für die jüngere Generation.
* Es gilt heute nicht mehr zu wissen,
- ob die Elsässer die notwendige sprachliche Kompetenz haben,
um aus der französischen Quelle ihrer Kultur zu schöpfen,
- sondern ob sie noch die notwendige sprachliche Kompetenz haben,
um aus der deutschen Quelle ihrer Kultur zu schöpfen.
- wobei es vordergründlich nicht um Literatur geht,
sondern um die kulturelle Substanz,
ohne die ein Elsässer eben kein Elsässer im wahren Sinne
des Wortes mehr ist.
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* Die deutsche Quelle
* Bis zum 17. Jahrhundert war das Elsass mehr als ein bloßer
Zuschauer im deutschen Kulturleben.
Elsässer nahmen direkt daran teil und zwar in ganz hervorragender
Weise.
Sie waren Mitgestalter des kulturellen Lebens im deutschen Sprachraum,
das im 16. Jahrhundert seine volle Blüte erreichte, insbesondere
in den Ländern längs des Rheins.
* Wenn im Elsass das 16. Jahrhundert "das große elsässische
Jahrhundert" genannt wird,
so nicht aus elsässischer Eitelkeit, sondern weil namhafte Elsässer
zu den bedeutendsten
Kulturträgern der damaligen deutschen Kulturwelt gehörten.
* Man denke nur an
- Geiler von Kaysersberg (1445-1511) (übrigens in Schaffhausen
geboren)
- Jakob Wimpfeling (1450-1528), den "Praeceptor Germaniae"
- Thomas Murner 1475-1537, seinen Gegenspieler ("Germania Nova")
- Sebastian Brant (1458-1521): "Das Narrenschiff"
- den Humanisten Beatus Rhenanus (1485-1547) und Freund von Erasmus
von Rotterdam
- den großen Straßburger Dichter und Satiriker Johann Fischart
(1546-1590)
* Zwar bedeutete der Westfälische Frieden, der 1648
den Dreißigjährigen Krieg beendete,
- auch einen Einschnitt ins kulturelle Leben der Elsässer,
- aber bis praktisch nach dem 2. Weltkrieg hat es immer Elsässer
gegeben,
die auch im deutschen Kulturleben eine große Rolle spielten.
* Zu erwähnen seien hier vor allem
Albert Schweitzer (1875-1965)und René Schickele
(1883-1940)
Beide waren ab 1918 französische Staatsbürger,
haben aber ihr deutsches Kulturerbe nie verleugnet.
* René Schickele hat stets auf die "zwei Traditionen"
des Elsass hingewiesen,
der deutschen und der französischen.
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"Das Elsass", schrieb er 1904, zu einer Zeit also wo das Elsass
deutsch war,
ist die Blüte zweier Traditionen".
Elsässer", fügte er hinzu, "wird ein Charakteristikum,
ein
psychologischer Begriff für die Wesensart aller geistigen Kinder
werden, die gallisches und deutsches Blut nährt". |
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Er setzte sich damals schon für, wie er sagte, "ein
geistiges Elsässertum" ein.
* Auch heutzutage hat das Elsass noch einen so bedeutenden,
nicht nur aber auch deutschsprachigen Schriftsteller wie z.B. André
Weckmann.
* Aber eine wachsende Zahl von Elsässern ist kaum noch
in der Lage,
aus der deutschen Quelle der Kultur im Elsass so zu schöpfen,
wie es die Bewahrung der elsässischen Persönlichkeit erfordert.
* Für viele, wenn nicht schon für die allermeisten,
ist die deutsche Sprache bereits zur Fremdsprache geworden.
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Die deutsche Sprache zur Zeit Martin Luthers |
* Die spezifisch elsässische Quelle
* Kann es so etwas überhaupt geben?
Kann auf einem so schmalen Landstreifen wie das Elsass
überhaupt eine typisch elsässische Kulturquelle entspringen?
Die Frage kann man sich schon stellen.
* Bestritten wird das natürlich schon, insbesondere
in nationalen und nationalistischen Kreisen,
die die Existenz jeglicher nicht nationaler Kultur einfach wegleugnen
und von ihrem Nationaldenken nicht loskommen.
* Gewiss: was man als typisch elsässische Kulturquelle
bezeichnen kann, weist eine Anzahl von deutschen Zügen auf,
die sie von der deutschen Vergangenheit des Elsass geerbt hat, in erster
Linie die Sprache.
Und da denkt man gleich an die Literatur.
* Nur: Kultur beschränkt sich weder auf Literatur,
die den Gebrauch einer Sprache voraussetzt noch auf Kunst im allgemeinen.
Kultur ist Leben und umfasst alle Bereiche des Lebens.
* Aber selbst in den Bereichen der Literatur und der Kunst
gibt es eine Art die Dinge zu sehen und auszudrücken,
eine Art des Gestaltens, die den Elsässern eigen sind.
* Das kommt besonders heutzutage den Elsässern zum Bewusstsein,
weil für sie auch Literatur und Kunst nun zur Existenzfrage
geworden sind.
* Die Elsässer mussten in den letzten dreihundert Jahren
ihre Nationalität.......fünfmal wechseln: 1648/1681
- 1870 - 1918 - 1940 - 1945,
also deutsch - französisch - deutsch - französisch
- deutsch und wieder französisch.
* Das konnte nicht spurlos an ihrer Persönlichkeit vorübergehen.
Zudem blieben sie in äußerst kritischen Perioden meist auf
sich allein gestellt. (u.a.1940-45)
Was Wunder, wenn sie dadurch eine eigene Persönlichkeit entwickelten,
die auch ihre Einstellung zum Leben tief prägte.
* Selbstverständlich ist die Art zu sein in dieser Welt
nicht von dieser oder jener Sprache abhängig,
aber die Eigenart - die individuelle und die kollektive - widerspiegelt
sich
auch in der Sprache, im Gebrauch der Sprache.
* Martin Heidegger brachte dies klar zum Ausdruck, als er feststellte,
dass "die Sprache das Haus des Seins" sei. Im Übrigen,
"Kein Volk gibt seine Sprache auf, wenn es nicht dazu gezwungen
wird."
(Schicksal Elsass, S. 46)
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Die Dialekte im Elsass |
* Bei Treffen alemannischer Mundartdichtern kommt dies besonders
klar zum Ausdruck:
- Was alle alemannische Mundartdichter gemein haben,
ist natürlich ihre alemannische Mundart,
ob sie Deutsche, Österreicher, Schweizer, Liechtensteiner oder Elsässer
sind.
Auch findet man gemeinsame Themen, wie bei allen Dichtern.
- Aber bei den modernen engagierten elsässischen Mundartdichtern
wie z. B. Adrien Finck, Sylvie Reff, Conrad Winter, und insbesondere André
Weckmann
spürt man, dass es ihnen vor allem darum geht, mit und in
ihrer Mundartdichtung,
die Dramatik auszudrücken, die eben im Kampf eines kleinen
Volkes um seine Existenz,
d.h. um die Bewahrung und Entfaltung seiner Persönlichkeit,
liegt.
- Hierzu nur ein Beispiel:
die letzten Verse des Gedichtes e schrej von André
Weckmann:
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e schrej |
[ein Schrei |
e schrej
esch s letscht
wås dr ewriblît
vor åss de s schnüfe ufstecksch
wann d die långs åm rhin ånnestrecksch
un d vogese di
met roschtigem läub züedecke
e schrej |
ein Schrei
das ist alles
was dir übrigbleibt
beim letzten Atemzug
wenn du dich am Rhein hinstreckst
und die Vogesen dich
mit rostigem Laub zudecken
ein Schrei] |
|
Ich glaube nicht, dass dieser dramatische Schrei in einer anderen
Sprache als
im elsässischen Dialekt auf eine so direkte Art ausgestoßen
werden kann.
* Kultur weist im Elsass einen existentiellen Charakter
auf, weil ein Volk eben nur so lange
als eine eigenständige Menschengruppe existiert, wie es die
Kraft bewahrt,
eine ihm eigene Kultur am Leben zu erhalten.
* Daher auch die Sorge und der Einsatz der bewussten Elsässer
für eine weltoffene , aber eigenständige Kultur.
* Drei Kulturquellen, aber nur eine Kultur
* Wer sich an zwei oder drei Kulturquellen nährt,
erwirbt dadurch weder eine doppelte noch eine dreifache Kultur.
Die Quellen fließen nicht in getrennte Gefäße,
sondern in ein-und denselben Geist und befruchten somit das ganze
Wesen des Menschen.
°° Es geht hier nicht um eine Addition, um ein Summieren,
sondern um die Integration von kulturellen Bestandteilen,
die eben aus drei verschiedenen Kulturquellen entnommen werden.
°° Für den Einzelnen ist Kultur seine
persönliche Art Mensch zu sein.
So kann seine Kultur nie doppelt oder dreifach sein: sie bleibt
stets "eins".
°° Das gilt auch für die Menschengruppe, mit der
er die wesentlichen Züge seiner Kultur teilt.
Der Elsässer, die Elsässer machen hier keine Ausnahme
°° Aber nur wenn die Kultur im Elsass ihren elsässischen
Charakter bewahrt,
hat das, was man als "culture alsacienne"oder"elsässische
Kultur" bezeichnet,
einen Sinn und kann auch Wirklichkeit werden.
°° Das setzt die notwendige sprachliche Kompetenz
in den im heutigen Elsass geläufigen Sprachen voraus, also Französisch,
als Hauptsprache,
aber auch Standard-oder Hochdeutsch und Dialekt d.h. "Elsässerditsch".
** Die Bewahrung der sprachlichen Besonderheit
stößt im Elsass auch heute noch auf große Schwierigkeiten.
°° Französisch ist nicht nur die offizielle Sprache
Frankreichs, sondern auch die "Nationalsprache".
Sogenannte "regionalen Sprachen und Kulturen" werden nur
am Rande gefördert.
°° Gewiß, Deutsch ist nicht mehr die "Sprache
des Feindes",
aber auch noch nicht die "Sprache des Freundes",
wenigstens nicht wenn es ums Elsass noch geht.
- Es war schon ein großer Fortschritt,
Deutsch offiziell als die "Sprache des Nachbarn" zu bezeichnen.
- Für das Elsass ist die deutsche Sprache selbstverständlich
weit mehr als nur die Sprache des rechtsrheinischen Nachbarn.
** Tatsache ist, dass der Dialekt dramatisch zurückgeht.
Und das hat ganz schwerwiegende Folgen.
°° eine Sprachmutation von noch nicht abzuschätzendem
Ausmaß bahnt sich an.
Noch ist es nicht so weit, aber die Lage ist äußerst ernst.
+ der direkte Kontakt zum deutschen Kulturkreis ginge verloren
+ das Elsass befände sich in einer ausschließlich französischen
Sprach-und Kulturwelt.
°° Das hätte also ganz andere Folgen wie
der Rückgang der Mundart z.B. in Baden oder Württemberg.
°° Dem Versuch, den Dialekt im Elsass am Leben zu erhalten,
kommt somit eine große Bedeutung zu.
Entscheidend für die Existenz einer Sprache sind das Sprachverhalten
und der Sprachgebrauch.
+ Kurz gefasst, sieht das im Elsass etwa so aus:
- die Sprache des schriftlichen Verkehrs ist fast ausschließlich
Französisch.
- die deutsche Schriftsprache beschränkt sich meist nur noch
auf den Verkehr
mit Deutschland und den Deutschen.
- im mündlichen Verkehr werden Französisch und Dialekt
gebraucht,
je nach der Situation und dem Sprecher.
* Tatsache ist jedoch, dass der Dialekt als Umgangssprache
immer mehr vom Französischen verdrängt wird.
+ Hier stellt sich eine grundlegende Frage, die im Elsass
(und auch außerhalb des Elsass) nur selten erörtert wird:
kann man überhaupt mit zwei Umgangssprachen leben?
+ Jede Sprache muß gewisse Funktionen ausüben können,
sonst verliert sie ihre Existenzberechtigung.
** Die wichtigste Funktion einer Sprache ist die Kommunikation.
Und hier muß man leider zugeben, dass im Elsass der Dialekt
- und somit die deutsche Sprache -
im Begriff ist, diese lebenswichtigste Funktion zu verlieren.
*Also, die Lage hoffnungslos? Ich glaube nicht.
+ Nur: so wie es vor 50, 30 und auch noch vor 20 Jahren war, wird es
nie mehr werden.
Jeder Versuch, alte Zustände wieder herzustellen, ist zum Scheitern
verurteilt.
+ So wichtig auch die Kommunikation für die Existenz einer
Sprache ist,
sie ist nicht die einzige, die einer Sprache eine Zukunft
sichern kann.
* Die Sprache hat auch eine Identitätsfunktion, die nicht
unterschätzt werden sollte.
Überall wo die Kommunikationsfunktion verloren geht,
gewinnt die Identitätsfunktion an Bedeutung.
+ Man denke nur an die Republik Irland, wo etwa 80% der
Bevölkerung nicht mehr das Gälische als Umgangssprache verwenden
und Gälisch trotzdem durch eine zielbewußte Erziehung
seiner Identitätsfunktion voll gerecht wird.
+ Die Lösung der Sprachenfrage ist deshalb so wichtig,
weil das Elsass nur durch die Bewahrung seiner sprachlichen Eigenart
im heutigen Europa bestehen kann.
°° Das weiß man auch in den politischen Kreisen.
°° Es gibt im Elsass keine Partei mehr, die sich nicht für
die deutsch-französische Zweisprachigkeit irgendwie einsetzt.
Wenn damit auch nicht alle dasselbe meinen,
ist es immerhin ein Zeichen, dass sich heutzutage
im Elsass manches bewegt, das Anlass zur Hoffnung gibt.
** Zur elsässischen Problematik, so wie sie sich heutzutage
im Elsass stellt,
möchte ich abschließend noch folgendes bemerken:
+ Die Geschichte hat politische, gesellschaftliche und kulturelle
Realitäten
geschaffen, die die Sprachverhältnisse im Elsass nicht mehr grundsätzlich
ändern können.
Eine französisch-deutsche Zweisprachigkeit im Elsass
würde also kein Aufrollen geschichtlicher Tatbestände bedeuten.
+ Eine echte französisch-deutsche Zweisprachigkeit würde
diese Tatbestände voll respektieren.
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Die Frage ist nicht, ob der Elsässer sich
an einer, zwei oder drei Kulturquellen nähren will oder nicht.
Er hat eben keine andere Wahl, will er seiner Vergangenheit treu bleiben,
in der Gegenwart bestehen und sich eine Zukunft sichern, die
seiner Persönlichkeit - seiner Identität - entspricht.
Konkret geht es darum, die französische Kulturquelle
voll auszuschöpfen, die deutsche Quelle nicht versiegen
zu lassen, und die spezifisch elsässische Quelle neu zu erschließen.
Das ist eine immense Aufgabe, aber eine Aufgabe, die sich lohnt,
denn welche französische Region ist in der Lage durch solch einen
Beitrag an der zukünftigen Gestalt Europas mitzuwirken? |
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* Es geht also um Grundsätzliches, denn
|
Leben heißt sein, Mensch sein. Als Elsässer leben, heißt
auf elsässische Art Mensch sein. Wer heute als Elsässer lebt,
will den Lauf der Geschichte nicht anhalten, sondern seine aus der Vergangenheit
überkommenen und von der Geschichte geformten Wesenszüge in aller
Freiheit weiterentwickeln."
(Zeitgenosse Elsässer, S.8) |
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(Auszug aus dem am 7. Oktober 1993 in Karlsruhe
im Lions International Club Karlsruhe-Baden gehaltenen Vortrag : Elsass?
Was heißt das heutzutage ?) |
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