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Mit Venus, dem Quintett aus Brüssel, meldet sich eine herzerfrischende Formation zu Wort, deren Debütalbum "Welcome To The Modern Dance Hall“ mit Fug und Recht als ganz großer Wurf bezeichnet werden darf. Nach den Glanzzeiten der belgischen Musikszene zu Beginn der 80er, seit Tuxedomoon, Blaine L. Reininger und Minimal Compact, kam lange Zeit nichts vergleichbar Innovatives mehr aus dem Land der Flamen und Wallonen. Erst in jüngster Zeit haben wieder einige belgische Bands international auf sich aufmerksam machen können, dazu zählen Hooverphonic, Arid und Deus. In diese Reihe großartiger Gruppen darf man jetzt auch Venus hinzufügen.
Schon die Besetzung mit vier Musikern und einem Bühnenbildner lässt aufhorchen und an längst vergangene Art-Rock-Zeiten denken. Darüberhinaus verfolgen Gitarrist und Sänger Marc Huyghens, Geiger Walter Janssens, Bassist Christian Schreurs und Schlagzeuger Thomas von Cottom ein rein akustisches Konzept, wobei die Violine die Hauptakzente setzt und dem Sound einen kammermusikalischen Anstrich verleiht. Zusätzliche Klangeffekte und unvermutet auftauchende Geräusche entstehen erst im Studio. Auf Künstlichkeit legen Venus dabei keinen Wert, berufen sich lieber auf das Filmdogma Lars van Triers, dem es vor allem um Authentizität geht.
Auch wenn Venus - den Namen hat sich die Band beim Velvet Underground-Klassiker „Venus In Furs“ entliehen - als Einflüsse Radiohead, Jeff Buckley, die Waterboys und Violent Femmes nennen, sind die dreizehn Songs der "Modern Dance Hall" im besten Sinne europäisch. "Belgien hat keine eigene musikalische Identität. Eine belgische Band zu sein, bedeutet 1000 verschiedene Einflüsse zu absorbieren, um einen eigenen Sound zu finden", bekennt Marc Huyghens, Hauptsongschreiber der Band. "Also verwenden wir auch europäische Quellen von Klassik, Brecht & Weill bis Chanson, Zigeunermusik und Britpop."
Entsprechend variantenreich gestaltet sich das gesamte Album zwischen magischen Blues-Rock-Motiven ("Perfect Lover"), zarten Akustik-Skizzen ("I‘m The Ocean") und Folk-Miniaturen ("Lisa Little Racket"). Ob klassische Pop-Vignette ("Pop Song"), romantisches Wiegenlied ("Don`t Say You Need Love"), langsamer Walzer ("Dizzy") oder überkandidelter Pop à la Beck ("She‘s So Disco"), die Vielfalt der verwendeten Stile scheint grenzenlos und eröffnet faszinierende Welten des künstlerischen Ausdrucks, der auch aus der Vorgeschichte der einzelnen Bandmitglieder resultiert. Marc Huyghens und Walter Janssens kommen vom Theater und das unterschiedliche Szenario der Instrumente erinnert unweigerlich an den fliegenden Rollenwechsel im Schauspiel.
Angefangen beim enervierend-verschwörerischen Rock-Opener "Ball Room“ bis zum hypnotischen, orientalisch gefärbten Ausklang "Bass Shivering Bass“ demonstriert die Band einen ausgeprägten Sinn für nonkonformistische Klänge und effektvoll arrangierte Songs, die an einen musikalischen Galeriebesuch erinnern, bei denen Bilder in Klänge umgesetzt werden. Bei ihren Konzerten beschreitet die Gruppe dann den umgekehrten Weg. Zu der Musik entwirft der professionelle Bühnenbildner Patric Carpentier eine beeindruckende optische Performance, in der die Musiker wie riesige Marionetten in einem verwunschenen Raum agieren. Jeder Venus-Auftritt wird so zu einem unvergesslichen Erlebnis. Venus sind eine sichere Bank für ebenso anspruchs- wie kunstvollen europäischen Pop mit der Wirkung einer Hypnose-Sitzung.
MÄRZ 2000
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